Protektor – Leseprobe – Kapitel 11

 

Elftes Kapitel: Scharfe Tante

„Und du bleibst fein artig hier drin!“, ermahnte ich Kunigunde. Ich hätte schwören können, dass sie die Augen verdrehte, aber sie rupfte noch ein paar Büschel aus dem Heuballen und wirkte dabei, als wäre es völlig normal, dass eine Kuh im Laderaum eines 3,5-Tonners lag.
Die weitere Durchsuchung von Veroniques Haus hatte den Schlüssel zu diesem alten, aber intakten Gefährt in der Farbe verwesender Eierschalen und einen von einer hohen Hecke umgebenen Garten offenbart – und damit die Antwort zu meiner Frage, wie es mit Kunigunde und mir weitergehen sollte. Wir würden in Veroniques Haus ziehen.
Zuerst aber musste ich bei meinen Eltern vorbeischauen, denn mein Vater hatte Geburtstag.
Ich glitt vom Fahrersitz und trat zu meiner Kuh. Auch ein Satz, von dem ich letzte Woche noch gedacht hätte, dass ich ihn nie sagen würde. „Keinen Mucks!“
Kunigundes Bauch rumpelte und dann wehte mir ein fauliger Hauch um die Nase, als sie mit einem langgezogenen Rülpser wiederkäute.
„An deiner Einstellung müssen wir arbeiten, Fräulein!“, sagte ich, kraulte sie aber hinter den Ohren. Es war schön, wieder ein Haustier zu haben.

Leopoldine will offensichtlich nicht so gern angefasst werden, das beweist der immer noch blutende Biss an meinem Zeigefinger. Darum lasse ich sie in Ruhe und werfe nur ab und an Käse und Wurststücke in den Karton, in den ich sie gesetzt habe.
Mittlerweile scheint sie sich an mich gewöhnt zu haben, denn jetzt setzt sie sich auf die Hinterbeine und putzt mit den Vorderpfoten ihre Öhrchen. Sie ist so süß!
Ich freue mich, endlich ein Haustier zu haben. Bisher hatte meine Mutter mir immer alles verboten, aber wie könnte sie nein zu diesem kleinen Racker sagen, der zudem noch nicht mal was gekostet hat?
Leopoldine richtet sich schnuppernd auf und da sehe ich, dass sie doch ein Leopold ist. Dicke, rosige Eier schieben sich durch das schwarze Fell.
„Ja wer ist mein kleiner Kumpel?“, frage ich und werfe ein weiteres Stück Käse hinein. Ein bisschen habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich hier vermutlich einem anderen Kind sein Haustier klaue. Ich meine, wie sollte Leopold sonst in unseren Keller gekommen sein? Aber dann stößt er ein lustiges Fiepsen aus und alles ist vergessen.
Die Tür geht auf und meine Mutter kommt vom Einkaufen zurück. Sie stellt die schweren Taschen in die Küche und kommt ins Kinderzimmer.
„Wat has du denn da, Jung?“, fragt sie und schaut über meine Schulter. Das erschreckt Leopold, der einen gewaltigen Satz aus dem Karton in mein Haar macht und von da auf den Boden springt.
Meine Mutter kreischt: „Ratte! Dat is ne Ratte!“ und fällt in sich zusammen.
Später an diesem Tag lernte ich, dass eine wilde Kanalratte kein gutes Haustier ist, und das Tetanusspritzen fies brennen.
Mein Vater feierte im kleinen Kreis, was bedeutete er, meine Mutter, ich und Tante Isabell. Letztere war so eine Art Hausfreundin, die schon seit meiner Kindheit immer mal wieder vorbeischaute, wenn es etwas zu feiern gab. Sie war groß, schlank, rothaarig und hatte auch mit Mitte Fünfzig noch eine Figur, für die manche Frau töten würde. Vielleicht wirkte sie in ihrem schwarzen Abendkleid und dem kleinen Hut mit angedeutetem Schleier aber auch nur deswegen so elegant und sexy, weil sie neben meiner Mutter saß. Die hatte zwar ebenfalls ihr gutes Kleid an, aber nicht nur die Tatsache, dass ihr Blümchenstoff wirkte, als habe man ihn von einer Couch abgezogen und ihr übergeworfen, ließ sie chancenlos zurück.
Kurzum: Tante Isabell wäre eine MILF gewesen, wenn sie denn Kinder gehabt hätte. Und sie war, das möchte ich betonen, bevor hier ein falscher Eindruck entsteht, nicht wirklich meine Tante. Sie war nicht verwandt und nicht verschwägert und hatte mich darum in meiner Vorstellung durch so manche schwer adolescierende Nacht begleitet.
„Papa!“, sagte ich und reichte ihm ein hastig in Zeitungspapier eingewickeltes Geschenk. „Alles Gute zum Sechzigsten!“
„Jung, setz dich! Iss Torte!“, grätschte meine Mutter verbal in diesen Vater-und-Sohn-Moment. Tante Isabell hingegen stand auf und nahm mich in den Arm. Was mir sonst einen freudigen Halbsteifen verursacht hätte, fühlte sich heute irgendwie unangenehm an. Als würden sich nicht die Arme einer durchtrainierten Schönheit, sondern die muskulösen Windungen einer Würgeschlange um meinen Körper legen.
„Lang nicht mehr gesehen, Klaus“, sagte sie und hielt mich auf Armeslänge von sich. „Lass dich anschauen …“
Sie musterte mich von oben bis unten und verzog kurz das Gesicht. Sie versuchte es hinter einem noch breiteren Lächeln zu verstecken, aber ihr Unwille über das, was sie sah, war offensichtlich gewesen.
Na Dankeschön, dachte ich und als sie mich ließ, um wieder zum Tisch zu gehen, kniff ich kurz prüfend in meine Bauchfalte. So schlimm war das nun auch wieder nicht. Und zumindest in letzter Zeit waren die Ladys ja eher ganz verrückt nach jedem Pfund köstlichen KHs … Mann, zum Glück gibt es in meinem Kopf kein Machoglas, in das man für solche Sprüche fünf Euro werfen muss.
„Ist das … Kunst?“, fragte mein Vater pikiert. Er hatte mittlerweile sein Geschenk ausgepackt und drehte den gebogenen, silbernen Gegenstand in den Händen.
„Das ist ein Tischfeuerzeug“, erklärte ich und demonstrierte ihm die Flamme, die aus der Spitze kam, wenn man diesen einen Knubbel an der Seite drückte. Es war das einzige in Veroniques Haus gewesen, dass außer der Klobürste oder einem Topfreiniger nicht vollständig mädchenhaft und damit als Geschenk für meinen Vater noch weniger nutzbar gewesen war.
„Ah ne, schön“, sagte er wenig begeistert.
Komm schon, Papa, ich hab’ne Kuh in meinem Auto und schütze die Welt vor dem Bösen, hätte ich ihm am liebsten gesagt. Da kann ich nicht auch noch anständige Geschenke besorgen.
Zumal ich die Schublade mit den 500 Euro in bar erst kurz vor der Abfahrt entdeckt hatte.
„Und, Klaus, was machst du heutzutage so?“, fragte Tante Isabell.
Ich hab’ne Kuh im Auto und schütze die Welt vor dem Bösen …
„Ach, nix.“
„Immer noch arbeitslos?“
„Joah.“
„Nichts Spannendes passiert, in letzter Zeit?“
Was wird das denn jetzt? Wieso war Isabell plötzlich so interessiert an meinem Leben. Ich ertappte mich dabei, dass ich meine Handfläche kratzte.
„Och, nö, alles wie immer“, wiegelte ich ab und stopfte mir den Mund mit Sahnetorte voll, um alle weiteren Fragen mit einer entschuldigenden Geste auf meinen vollen Mund abzuwehren. Aber es kamen keine. Stattdessen musterte mich Isabell noch einmal misstrauisch. Dann sprang ihre Aufmerksamkeit wieder zu meinen Eltern und die drei fingen an, über frühere Geburtstage zu sprechen, bei denen sie angeblich wilde Ausflüge unternommen und nackt gebadet hatten. Mein Hirn weigerte sich jedoch aus reinem Selbstschutz darüber nachzudenken, was meine Eltern getan haben mochten, bevor sie der Knopfkönig und seine Königin wurden.
Vier Stücke Torte und das anhaltende Gebrabbel versetzten mich in eine Art Wachkoma. Ich war kurz davor, vom Tisch auf den Boden zu sinken, um ein kleines Nachmittagsschläfchen zu halten, da fiel mir siedendheiß Kunigunde ein. Das arme Tier lag nun schon fast drei Stunden in dem Transporter.
Ich blickte auf und konnte eben noch einen Aufschrei unterdrücken. Natürlich keinen mädchenhaften Angstschrei, sondern einen männlichen Kampfschrei, danke der Nachfrage.
Tante Isabell hatte sich sehr zu ihrem Nachteil verändert. Ihre Augen leuchteten gelblich, ihr langes, lockiges Haar war noch immer Rot, aber es sah eher aus, als wäre es in frisches Blut getaucht. Ihr Gesicht war noch immer faltenfrei, was vor allem an einer Art riesiger Wanze lag, die auf ihrem Hinterkopf hing und Stacheln am Ende ihrer dürren, handlangen Beinen in ihre Haut gerammt hatte. Eine Art widerliches Wanzenlifting.
Ihr perfektes Dekolleté entpuppte sich als faltiges Jammertal, aber die Lederlappen wurden von zwei wie Affenhände wirkende Brustschalen angehoben. Dass die Hände knapp unter der Brust mit ihrem Körper verwachsen zu sein schienen, erhöhte den Ekelfaktor ins Unermessliche.
„Was guckst du denn so?“, fragte Isabell. Ihre Zähne waren mit einem Mal klein und spitz und sie hatte mehr als eine Reihe. „Hast du ein Gespenst gesehen?“
Das war vorhin, dachte ich. Vielmehr konnte ich nicht zielgerichtet denken. Wer … nein, was war Tante Isabell? Und war sie das schon immer gewesen? Bestand Gefahr für meine Eltern?
Wie ein Zug rasten Erinnerungen in meinen Kopf, die ich erst jetzt wirklich wahrnahm, als hätte irgendetwas oder irgendjemand sie tief in meinem Bewusstsein vergraben. Tante Isabell, die auf mich aufpasste und die ich vor dem offenen Kühlschrank antraf, wo sie sich gierig rohes Hack in den Mund stopfte; vor dem Spiegel, wie sie einen unsichtbaren Hut zurechtzurücken schien; wie sie sich am Essenstisch in die Hand schnitt, ohne einen Ton zu sagen und einen Tropfen Blut in Mamas Kaffee fallen ließ.
Fakt eins: Es war schon immer etwas Komisches mit ihr los gewesen.
Fakt zwei: Zu der Vorstellung dieses Monstrums da hatte ich häufig masturbiert.
Fakt drei: Wenn sie schon immer so gewesen war, bestand wohl keine akute Gefahr für meine Eltern.
Fakt vier: Wer so aussah, konnte kein guter Mensch sein. Wer wusste schon, ob sie überhaupt ein Mensch war.
Fakt fünf: Ich würde herausfinden müssen, was sie war und ob es mein neuer Job erforderte, dass ich sie … naja …
„Hast du deine Zunge verschluckt?“, fragte Isabell und streckte die ihre heraus. Sie war grünlich und hatte ein gespaltenes Ende.
„Ne, zuviel Torte“, behauptete ich. „Entschuldigt mich.“
Ich eilte ins Bad, spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und atmete tief durch. Es ist alles gut, versuchte ich mir einzureden und nach einigen Minuten hatte ich mich einigermaßen erfolgreich angelogen. Ich verließ das Bad und bewegte mich langsam in Richtung Wohnzimmer.
Hier saß meine Mutter, rund und bunt und fröhlich schnatternd. Dort mein Vater, dürr und verbaut und amüsiert. Und da … Tante Isabell, schön und straff wie eh und je. Hatte ich womöglich nur halluziniert?
Nein, als ich näherkam, fing das Kribbeln in meiner Hand wieder an, und das lag nicht daran, dass sie sich an die guten Zeiten erinnerte, die wir mit diesem Anblick gehabt hatten.
„Äh … war schön. Ich geh dann mal.“
Ich küsste meinen Vater und meine Mutter zum Abschied auf die Wange. Auch Tante Isabell hielt mir ihre hin. Ich versuchte mich zu erinnern, wo die Wanzenbeine geendet hatten und küsste daneben. Ihre Haut sah rosig und frisch aus, aber sie fühlte sich unter meinen Lippen an, als würde man eine alte, ausgebleichte Damenhandtasche küssen. Es schauderte mich.
„Tschö dann!“, verabschiedete mich mein Vater und meine Mutter forderte: „Rufst bald an, woll?“
Ich nickte, winkte und ging. Kunigunde zeigte keine Anzeichen von Unwohlsein. Sie hatte sich im Laderaum gedreht und lag nun auf der anderen Seite, hob kurz den Kopf, als ich einstieg und ließ ihn wieder sinken, als ich sagte: „Wir bleiben noch ein wenig hier. Es gibt da etwas, dass wir untersuchen müssen!“

Hey, wo ist der Rest?

 

Wenn du dich jetzt wunderst, dass der Roman plötzlich zu Ende ist, hast du vermutlich das Vorwort nicht gelesen. Kenn ich, mach ich auch selten. Macht aber nix: Du kannst dafür sorgen, dass ich den Roman gefälligst fertigschreibe. Du musst einfach nur mein Crowdfunding unter www.startnext.com/protektor unterstützen. Vielen Dank im Voraus!

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