Protektor – Leseprobe – Kapitel 4

Viertes Kapitel: Ekstase (Liebchen mein)

Wenig später zog Veronique mich in ein Taxi und fragte: »Zu dir?«
Ich erstarrte kurz. Ich konnte sie auf keinen Fall in meine verranzte Wohnung bringen. »Hier rechts siehst du meine Schimmelschwammsammlung, dort vorne kannst du den Ausblick auf eine rote Nachkriegsmauer genießen und hier geht es in mein Schlafzimmer … beachte den Geruch nicht weiter, ich habe irgendwo eine Pizza verlegt.«
»Ich habe die Handwerker da«, sagte ich darum und war mehr als erleichtert, als sie dem Taxifahrer eine Adresse nannte. Der Mittvierziger mit Halbglatze und gelblichem Schweißrand am Hemdkragen grinste anzüglich und fuhr los.
»Öh … wohnst du in …«, setzte ich an, aber da schlang Veronique ein Bein über mich, wobei ihr Kleid hochrutschte und halterlose Strümpfe an perfekten Beinen offenbarte.
»Halt die Klappe«, schnurrte sie und ihr warmer, weicher Körper bedeckte mich. Dann trafen unsere Lippen sich und ihre Zunge schoss forsch in meinen Mund, tanzte spielerisch herum, während sie ihr Becken in gleichmäßigen Bewegungen vor- und zurückschob.
Zum ersten Mal seit neun Monaten hatte ich eine Erektion und dann gleich eine, mit der man Nägel hätte einschlagen können. Ich erwiderte ihren Kuss gierig, ließ meine Hand über ihren Oberschenkel gleiten, stützte mit der anderen ihren Rücken und ließ sie zu ihrer vollen, festen Brust herumfahren. Als ich zupackte, stöhnte sie auf, warf den Kopf zurück und ich küsste ihren langen, makellosen Hals, glitt daran hinab, bis zu ihrem Dekolette und … bekam einen verbalen Tritt in die Weichteile, als der Taxifahrer mit verschleimter Raucherstimme verkündete: »Da simmer schon. Elf-fuffzich machdas.«
Ich zahlte mit einem Zwanziger und ließ mich bereitwillig in ein Wohnhaus ziehen, das über eine eigene Zufahrt und eine Menge mit Chrom besetzte Bereiche verfügte.
»Bist du reich?«, fragte ich verwundert.
»Steinreich«, antwortete Veronique und setzte mit einem Zwinkern hinzu: »Und um Mitternacht verwandele ich mich in einen Frosch.«
»Ist mir egal«, sagte ich. »Ich würd’ dich trotzdem vögeln.«
Kurz kam die Erotik ins Wanken, als uns beiden bewusst wurde, was ich gesagt hatte. »Also nicht, dass ich mit Tieren … und schon gar keine Amphibien …«, versuchte ich zu retten. »Ich meine …«
»Halt die Klappe«, sagte die Frau meiner feuchten Träume bestimmt und schob mich in den Aufzug. Während wir nach oben fuhren, küssten wir uns erneut und sie schlang ihre Beine um meine Hüfte. Gern würde ich behaupten, dass sie leicht wie eine Feder war, und tatsächlich konnte sie höchstens halb soviel wiegen wie ich, aber ein Jahr ohne jede Bewegung hatte meinem Rücken nicht eben gut getan. Etwas knackte und ein stechender Schmerz durchzuckte mich, so heftig, dass ich Veronique fallen ließ.
Sie landete auf dem Po und schaute erst verdutzt, dann wütend zu mir auf: »Hast du sie nicht mehr alle?«
»Mein Rücken!«, beschwerte ich mich.
Sie sprang behände auf die Beine und stieß mich gegen die Fahrstuhlwand. »Willst du sagen, ich bin zu fett?«
»Nein«, wimmerte ich verzweifelt. Der Schmerz ließ langsam nach. »Ich bin zu schwach.« Prima, genau das wollte eine Frau von einem potenziellen Liebhaber hören. Ich bin ein Weichei, das unten liegen muss.
»Mann, du machst es mir echt nicht leicht«, seufzte sie und schob mich durch die sich öffnende Fahrstuhltür hinaus, durch einen Eingang, der mit einem Zahlenschloss gesichert war in eine Wohnung, bei der sogar Hugh Hefner vor Neid Pipi in die Augen bekommen hätte. Ein abgesenkter Wohnbereich mit metergroßem Flachbildschirm und runder Couch bildete das Zentrum, umringt von einem Essbereich mit filigranen Möbeln, einer sautreuren Markenküche in Echtholz und einem Balkon, von dem man über die ganze Stadt blicken konnte. Moderne Kunst hing an den Wänden und moderne Skulpturen (oder vergessener Sperrmüll) standen herum.
Veronique sagte: »Nimm dir einen Drink«, wies wage in die Richtung einer beleuchteten Bar und verschwand in einem Nebenzimmer. Sekunden später kam sie wieder heraus, erklärte: »Bad ist da drüben« und glitt durch eine andere Tür.
Ich nahm mir einen Whiskey, bei dem schon die Flasche so edel war, dass ich Angst hatte, sie zu beschmutzen. Ich entschied mich in einem akuten Stilanfall gegen Eis, ließ die rauchig-torfige Note meine Kehle herunterrinnen und erkannte: Je teurer der Whiskey, umso beschissener schmeckte er. Während ich eilig mit einer Sprite nachspülte, kam Veronique wieder ins Zimmer. Sie trug nur noch ihre hochhackigen Schuhe, die Strümpfe und einen Hauch aus Seide, der schon unter meinen Blicken zu reißen drohte. Ihre vollen Brüste, der runde Po und der flache Bauch zeichneten sich darunter so deutlich ab, als habe man sie in einen Nacktscanner gestellt. Sie lehnte sich lasziv gegen den Türrahmen und hauchte: »Hier bin ich. Zeig mir, dass du ein Jäger bist!«
Eine animalische Gier stieg in mir auf. Ich warf das Glas hinter mich, stürmte mit langen Schritten durch den Raum, packte Veronique und warf sie mir über die Schulter. Die Rückenschmerzen waren vergessen, mein Blut pulsierte mit übermenschlicher Kraft durch meine Adern. Ich würde dieser Frau zeigen, zu was ein richtiger Mann fähig war.
Veronique jauchzte, als ich sie herumwirbelte, doch ihre Freude erhielt einen Dämpfer, als ich sie versehentlich mit dem Kopf gegen den Türrahmen schlug.
»Oh mein Gott, das tut mir so leid …«, sagte ich entsetzt, doch sie rief: »Mach weiter! Mach bloß weiter!«
Ich warf sie auf das mit Seidenlaken bezogene Bett, riss mir mit einem Ruck das Hemd vom Leib, strampelte die Schuhe ab und warf mich auf sie. Zuerst rieb sie sich noch mit verkniffenem Gesicht den Kopf, doch als ich besitzergreifend ihre Hüften umfasste, sie an mich zog und meinen Mund auf ihren Hals presste, wurde aus ihrem Murren ein lustvolles Keuchen. Ich umfasste ihre Brust, krallte dann meine Hand in ihr Seidenoberteil und fetzte es ihr mit einer Kraft vom Leib, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Ich hätte mich darüber gewundert, aber in diesem Moment glitt ihre Hand zwischen uns und umfasste fordernd den ehemaligen Leistungsverweigerer.
Der Rest der Nacht war ein wilder Reigen der Lust, ein Wechsel zwischen fast tierhafter Wildheit und verspielter Zärtlichkeit. Ich hatte nie im Leben eine so tolle Frau im Bett gehabt, und ich war überzeugt, dass ich selbst nie im Leben eine so überzeugende Vorstellung als Liebhaber geliefert hatte. Als wir erschöpft in die schweißnassen Laken sanken, erinnerte ich mich in dem kurzen Moment zwischen Wohlgefühl und Schlaf versöhnlich an die schlimmste Liebesnacht, die ich jemals erleben musste.

»Coole Party«, murmele ich, während ich mich an den verkifften Mitbewohnerinnen und deren Freunden vorbei in Rosamunde-Gutelindes Zimmer drücke, wo sie mich bereits auf dem Bett (oder richtiger: Futon) erwartet. Leider nicht im Neglige und lasziver Pose, sondern noch immer im braunen Wickelrock und Rollkragenstrickpullover. Wenigstens die Birkenstock hat sie abgelegt. Ich mustere die klobigen Dinger und stelle mir plötzlich vor, wie es aussehen würde, wenn Birkenstock Pumps produzierte. Das entlockt mir einen keuchenden Lachanfall. Vielleicht hätte ich es mit den Haschkeksen doch etwas langsamer angehen lassen sollen.
»Was ist denn so komisch?«, fragt sie und ich winke ab: »Nix!«
Ich setze meinen Schlafzimmerblick auf (von dem mir erst viel später verraten werden sollte, dass er mich wirken lässt, als müsse ich dringend aufs Klo) und pirsche mich an sie heran. »Ich habe Wein«, verkünde ich und hole die Schraubflasche und zwei Plastikweingläser hinter dem Rücken hervor, die ich unter Einsatz meines Lebens aus der Küche entführt habe.
»Ne, du, ich trink ja nix”, verkündet sie, klopft aber neben sich auf den Futon und ich folge eilig, lande nicht richtig auf der Kante und purzele zu Boden. Obwohl ich mir den Kopf stoße, finde ich auch das unglaublich komisch und ziehe mich lachend aufs Bett. Rosa verzieht keine Miene, küsst mich aber, als ich es endlich auf den klumpigen Futon geschafft habe. Ich packe sie, voller informatikstudentischer Ungeduld, küsse sie und stecke ihr die Zunge in den Hals.
Sie quiekt, zieht den Kopf zurück und sagt: »Ne du, keine Zunge, ich nehm’ doch kein Fleisch in den Mund.«
»Oh«, sage ich und verabschiede mich schon mal von einem weiteren Highlight, dass ich mir für diese Nacht erhofft hatte.
Wir küssen uns noch eine Weile wie Klosterschwestern, bis ich meine Fassung weit genug wiedergefunden habe, um langsam meine Hand unter den Pullover gleiten zu lassen. Er ist aus Naturwolle und kratzt wie ein Topfschwamm. Kurz bevor ich ihre Brust erreiche, hält sie meine Hand fest.
»Du, ich muss erstmal in Stimmung kommen«, erklärt sie. »Willst du was für mich tun?«
»Alles«, sage ich und es erschreckt mich ein wenig, wie ernst ich das meine. Meine Erektion presst sich schmerzhaft in die vor wenigen Stunden noch in der Badewanne eingeschrumpfte Jeans.
Ihr Atem geht sofort schneller und sie beugt sich vor, so dass sie über meinen ausgestreckten Beinen liegt. »Spanking!«, freue ich mich und will ihr schon die Hose herunterziehen, da richtet sie sich wieder auf und drückt mir ein Buch in die Hand. Rilke: Seine schönsten Gedichte
»Lies mir vor!«, fordert sie schwer erregt und lässt sich auf den Rücken fallen.
Ich warte einen Augenblick darauf, dass sie den Scherz auflöst, aber sie windet sich nur voller Vorfreude und so beginne ich zu lesen: »Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? Und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein.«
Während ich mich durch die Lyrik des Altmeisters quäle, beginnt Rosa zu stöhnen, fasst sich zwischen die Beine und schiebt die Hand unter den Pullover. Das nun wiederum gefällt mir gut, aber ich kann es nur aus den Augenwinkeln beobachten, wenn ich im Halbdunkel nicht in den eng gesetzten Zeilen verrutschen will.
Nach vier Seiten halte ich es nicht mehr aus. Ich werfe das Buch beiseite und stürze mich auf Rosa, die nun deutlich williger erscheint.
»Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht«, zitiert sie und schält sich aus dem Pullover, um darunter lange Winterunterwäsche zu offenbaren. Ist die Frau am Äquator aufgewachsen, dass sie bei 25 Grad friert? Egal, auch aus dieser Dämmung habe ich sie schließlich heraus und natürlich trägt sie keinen BH, so dass wir gleich zu Sache kommen könnten.
Doch da springt sie auf und ruft: »Warte mal!«
Da sie auf dem Weg zum Kassettenrekorder aus dem Wickelrock schlüpft, habe ich wenigstens einen einigermaßen erfreulichen Anblick, als sie sich zu dem Gerät herunterbeugt und ihn einschaltet. Sicher, weiße Omaunterhosen sind nicht eben mein Fetisch, aber die Drogen helfen!
»Darf ich Ihnen unsere Visitenkarte geben?«, schallt aus den Lautsprechern.
Ich blicke sie entgeistert an: »Was ist das denn?«
»Die drei Fragezeichen«, sagt sie mit vor Wollust geröteten Wangen und der Kassettenrekorder präzisiert: »Wir lösen jeden Fall!«
»Justus Jonas macht mich total scharf!«, erklärt sie und klingt dabei nicht einmal verschämt.
»Mich nicht«, erkläre ich ihr. »Mach doch lieber Musik.«
Sie schaut mich kurz an, scheint abzuschätzen, ob ich den Kompromiss wert bin, und trifft dann eine Entscheidung zu meinen Gunsten. Sie legt eine andere Kassette ein und ruft damit laute, dröhnende Trommeln und laienhaft gespielte, verstimmte Blockflöten ins Zimmer. Das Tempo dieser Geräuschketten (Musik kann ich es einfach nicht nennen) variiert so sprunghaft und unregelmäßig, dass ich schon im Vorfeld ahne, dass sie mein Timing nicht wirklich verbessern wird.
Rosa kommt nun aufs Bett zugehüpft, was mich die Musik für einen Augenblick vergessen lässt, gleitet auf meinen Schoß und streckt sich zu einem Regal, was ihre Brüste genau vor meinen Augen baumeln lässt. Ich greife beherzt zu und sie erhebt keinen Einspruch.
Doch dann legt sie unmittelbar neben meinem Kopf eine riesige Tigerente ab. Das Biest muss ein chinesisches Imitat sein, denn ihr Lächeln erscheint wie ein bösartiges Grinsen und auch die Farben stimmen nicht.
»Das ist Robert«, erklärt sie. »Hab ich von meinem Papa. Der guckt immer zu.«
»Dein Papa?«, frage ich entgeistert und erwarte, dass die Tür aufgeht und ein gediegener Oberstudienrat mit einem Klappstuhl und einem Kaffeebecher hereinkommt, um mir danach Noten zu geben.
»Nein, Dummchen«, lacht Rosamunde-Gutelinde. »Robert hier.«
Ich schaue sie einen Augenblick an, dann auf die Ente, dann zwinge ich mich, nur ihre Brüste zu sehen und zu fühlen, aber es nutzt nichts.
Rosa schaut an mir hinab und sagt, halb mitfühlend, halb amüsiert: »Das macht doch nichts. Das kann jedem Mal passieren!«

Als ich erwachte, war es noch tiefste Nacht. Ich blinzelte aus den samtigen Tiefen wohliger Erschöpfung schlaftrunken zu Veronique hinüber, die mit angezogenen Beinen nackt auf meiner Hand saß, so dass meine Handfläche eine ihrer Backen umfasste, und leise, unverständliche Silben murmelte. Ihr rotes Haar umringte ihren erhitzten Kopf wie eine Krone aus Fuchsfell und ihre Brust wölbte sich rund und perfekt als Silhouette gewordenes Bild weiblicher Sinnlichkeit mit steifem Nippel in die Nacht. Obwohl mein Kopf sich offenbar gerade zum Dichter mit blumigen Metaphern berufen fühlte, wollte mein Schwanz wie immer nur das eine. Ich beschloss, ihm nachzugeben und hob die Hand, um sie sanft über den Rücken der Liebegöttin neben mir gleiten zu lassen.
»Du bist heiß, soll ich mal oral Fieber messen?«, murmelte ich schlaftrunken.
Veronique zuckte zusammen, sah erschrocken zu mir hinab und sagte: »Scheiße!« Dann holte sie aus und schlug mir mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Zwei Gedanken huschten durch meinen Geist, bevor mir ihr Hieb die Lichter ausknippste. Der eine war: »So schlecht war der Spruch nun auch wieder nicht« und der andere: »Ich bin ziemlich sicher, dass ihre Augen nicht golden leuchten sollten!«

Als ich wieder zu mir kam, lag ein sirenenartiges Geräusch in der Luft. Entweder hatte ein Muhezin bei seinem Ruf vom Minarett mit massiven Rückkopplungen zu kämpfen, oder es wurde gerade ein Test der Luftschutzsirenen durchgeführt.
Auf jeden Fall waren es etwa einhundert Dezibel mehr, als meine Kopfschmerzen brauchten, um zu florieren. Schwarze Punkte schwankten vor meinen Augen, als ich die verklebten Lider endlich aufbekam. Das an- und abschwellende Geräusch hatte jedoch eine biologische Quelle: Eine ältere Dame in dickem Pelzmantel und mit Pelzmütze auf dem Kopf stand am Fußende des Bettes und kreischte, was die Lungen hergaben. Ihr mehrfach geliftetes Gesicht hatte dabei einen so bösartigen Ausdruck, dass man ihr zutraute, die Nerze für den Pelz eigenhändig erdrosselt oder unter ihren kissendicken Silikonlippen erstickt zu haben.
»Pscht«, versuchte ich sie zum Schweigen zu bringen und richtete mich auf. Ein doppelter Fehler, wie sich herausstellte. Zum einen zeugten die schwarzen Punkte vor meinen Augen munter Nachwuchs und mir wurde erst schwindelig und dann schlecht. Zum anderen rutschte dabei die Decke von mir herunter und offenbarte mich der Alten in aller adonisken Nacktheit. Ihr Gekreische wurde eine Oktave höher. Es hätte mich nicht gewundert, wenn im nächsten Moment Fledermäuse gegen die Scheibe des Schlafzimmers geknallt wären, angelockt von den schrillen Frequenzen der Wuchtbrumme.
»Ruhe!«, keuchte ich und stützte mich auf dem Bettgestell ab, um auf die Beine zu kommen. Als die Alte zwar zurückwich, ihr Lärmen aber nicht einstellte, rief ich lauter: »Ruhe!«
Die Frau verstummte, griff in eine Guccihandtasche und zog eine Pfefferspraydose heraus. Zu meinem Glück hatte sie ihre Lederhandschuhe (vermutlich aus der Kopfhaut weißer Babyrobben genäht) noch an, weswegen es ihr misslang, die Schutzkappe abzuziehen. Ich torkelte vor, um ihr die Waffe aus der Hand zu schlagen, was mir gelang, aber nicht ohne weitere Übelkeitswelle. Ich blickte mich verzweifelt um, sah eine hohe weiße Vase und schaffte es im letzten Moment, dorthin zu schlittern.
Während ich mich in die Dekoration übergab, fing die Frau an, mir unter lautem Schimpfen immer wieder ihre Handtasche auf den Hinterkopf zu donnern, so dass meine Stirn mehrere Male gegen die Porzellankante knallte.
»Schatz, lass gut sein«, sagte eine ruhige, gesittete Männerstimme und tatsächlich ließ die Furie von mir ab. Ich blickte mich nach meinem Retter um, der sich als Rosine auf zwei Beinen herausstellt. Er war klein, faltig wie ein zerknülltes Papiertaschentuch und dunkle Altersflecken erweckten den Eindruck, jemand habe ihm die Weltkugel auf den kahlen Kopf tätowiert. Mit zitternder Hand richtete er eine uralte Pistole auf mich und fragte, durchaus höflich: »Hätten Sie die Güte, mir zu erklären, was Sie in meiner Wohnung machen? Ein Dieb sind sie vermutlich nicht? Falls doch, muss ich Sie beglückwünschen. Sie werden dann wohl als das dümmste Exemplar ihrer Gattung in die Geschichte der Zunft eingehen – posthum natürlich.« Er lud die Luger durch.
»Äh«, keuchte ich, wischte mir den Mund ab und rückte etwas von der übelriechenden Vase weg. »Wieso Ihre Wohnung?«
Der Alte musterte mich von oben bis unten und fragte: »Was glauben Sie denn, in wessen Wohnung gekommen zu sein sie das Pech zu haben verdammt waren und behufs welcher Absichtlichkeit Sie hier zu residieren die Stirn haben?«
Ich blinzelte einige Male und musste dann zugeben: »Das habe ich jetzt nicht verstanden.«
»Offensichtlich Prekariat«, verkündete der Mann seiner Frau und sagte dann langsam, als spräche er mit einem Kind: »Was glauben Sie, wo Sie hier sind und wer sind Sie?«
Ich berichtete ihm beides. Das geriatrische Traumpaar sah mich verwundert an und tauschte dann einen Blick.
»Sie hat also eine wunderschöne Dame in unsere Wohnung gebracht, um wilden Sex mit Ihnen zu haben, und hat sie dann allein gelassen?«, fragte der Mann ungläubig.
»Genau«, erklärte ich und robbte langsam zum Bett, um nach meinen Sachen zu suchen.
»Sie?«, fragte die Frau, und sie hätte nicht zweifelnder klingen können, wenn ich ihr versprochen hätte, ihr strohiges Haar zu Gold zu spinnen.
»Ja doch«, betonte ich.
»Eine hübsche Frau?«, vergewisserte sich die Alte.
»Ja-ha!«
»Nehmen Sie Drogen, junger Mann?«, wollte der Alte wissen.
»Kein Grund beleidigend zu werden.« Langsam ließen die Schmerzen weit genug nach, damit ich mir des Ernstes der Lage bewusst werden konnte. »Ich kann es ja selbst kaum glauben.«
Der Alte nickte einige Mal langsam, dann ließ er die Waffe sinken und erklärte: »Das ist eine so haarsträubend dämliche Geschichte, dass ich geneigt bin, sie zu glauben.«
»Dann kann ich gehen?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Natürlich nicht«, sagte der Alte. »Wie gedenken Sie das angerichtete Tohuwabohu finanziell zu entgelten?«
»Öh«, sagte ich und beeilte mich, die Hose hochzuziehen. Wenn ich schon sterben musste, wollte ich wenigstens Beinkleider tragen. »Ich habe kein Geld.«
»Entleeren Sie ihre Taschen«, forderte die Alte und der Opa hob die Waffe wieder. Ich folgte der Anweisung eilig, warf alte Taschentücher, eine ungeöffnete Kondompackung (was eine Menge weiterer Fragen aufwarf, über die nachzudenken den Weg in den Wahnsinn zu beschreiten hieße), einen alten Dichtungsring und geschätzte zwanzig Euro in kleinen Münzen aufs Bett.
»Nun, das wird nicht reichen. Vielleicht sollte ich sie einfach erschießen, das verspräche amüsant zu werden.«
»Nein, nein, nein!«, flehte ich und hob abwehrend die Hände. »Ich mache alles, was sie wollen.«
Der gehässige Blick, den die beiden Scheintoten sich daraufhin zuwarfen, ließ mich Schreckliches ahnen, und als die Alte dann auch noch anfing, ihre Klamotten abzulegen, wurde mir erneut übel. Doch sie beendete ihren Striptease of Death bei ihrem tief ausgeschnittenen Kleid. Ihr Mann war unterdessen zur sauteuren Stereoanlage geschlurft und wenig später donnerte ein feuriger Bosa Nova aus den Lautsprechern.
Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, meine Schulden abzutanzen, die pergamentene Haut der alten Dame unter meinen Händen, ihre betäubende Parfümwolke stets in der Nase. Als mich der Senior endlich mit einem wortlosen Kopfnicken entließ, und ich an unzähligen Koffern vorbei aus dem Haus floh, war mir sogar die vom Berufsverkehr abgasgeschwängerte Morgenluft eine duftende Erleichterung.
»So eine Schlampe!«, murmelte ich grimmig vor mich, als die runzelige Haut weit genug aus meinem Geist gewichen war, dass ich wieder an Veronique denken konnte. »Aber warte, man sieht sich immer zweimal im Leben.« Der Gedanke daran, ihre glatte Haut und ihren zarten Duft noch einmal genießen zu dürfen, brachte trotz meiner desolaten Gesamtlage ein Ziehen in meine Lenden. »Veronique«, säuselte ich versonnen. »Na warte, du Luder!«
In diesem Augenblick kamen die Zweifel, ob nicht Hannes mir doch irgendeine üble illegale Voodoo-Droge vom schwarzen Kontinent unter die Drinks gemischt hatte. Der gestrige Abend war einfach zu gut gewesen, um wahr zu sein, bestand mein Leben doch normalerweise aus einer Aneinanderreihung dampfender Ausscheidungen. In diesem Moment führ ein Laster durch die große Pfütze unmittelbar vor mir und nässte mich von oben bis unten ein.
»Quod errat demonstrandum«, rief ich laut und wischte mir die braune Brühe aus dem Gesicht.
Ein Jugendlicher, vermutlich auf dem Weg zur Schule, sah mich fragend an doch ich blaffte bloß: »Kauf dir ein verdammtes Lateinbuch!« und stapfte los, wohl wissend, dass ich kein Geld für Bus oder Taxi mehr besaß und darüber hinaus nicht einmal ahnte, wo ich mich befand. Und trotz allem, war es die Nacht mit Veronique wert gewesen. Ich musste sie wiedersehen!

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