Schreibtipp – Spannungsbögen 1: Viele Fragen führen ans Ziel (Gastbeitrag)

Ich freue mich, euch heute einen Gastbeitrag präsentieren zu können. Jurenka Jurk hat sich bei mir gemeldet, und sich als Gastautorin angeboten. Herausgekommen ist folgende sehr schöne Grundlagenerklärung zum Thema Spannungsbögen. Wenn ihr auch einen Gastbeitrag schreiben wollt, meldet euch bei mir. Gerne auch mit Thesen, die meinen Auslassungen widersprechen, denn wie in jedem Handwerk führt auch beim Schreiben oft nicht nur ein Weg zum Ziel.

Spannende Romane fesseln den Leser. Aber was ist Spannung und wie kann sie ein Autor erzeugen?

Ich stelle mir ein Gummiband vor, das ich über zwei Finger lege. Je weiter ich diese auseinanderziehe, desto gespannter wird das Band. Auf den Leser übertragen benötigen wir also zwei Pole, zwischen denen er hin- und hergerissen ist. Den einen nenne ich „Hoffnung“ und den anderen „Erwartung“. Der Leser hofft, dass die Figur ihre Ziele erreicht. Zugleich bauen wir Autoren immer neue Hindernisse in die Geschichte ein, was den Leser erwarten lässt, dass der Hauptfigur das erwünschte Glück verwehrt bleibt. Wird sie es trotzdem schaffen?

Solche Fragen, die der Leser sich im Verlauf einer Geschichte (meist unbewusst) stellt, sind Spannungsbögen. Die Antworten darauf beenden die Bögen.

In der Unterhaltungsliteratur gibt es eine genretypische „Hauptfrage“. Sie treibt den ganzen Roman voran. Zum Beispiel: Wird Batman Gotham City retten? Finden die zwei Liebenden zueinander? Oder: Wird der Mörder hinter Gitter gebracht? Diese Hauptfragen werden früh aufgeworfen und erst am Schluss beantwortet. Dazwischen gibt es weitere Fragen (z. B.: Schafft Batman sein Hüftleiden rechtzeitig zu heilen?). Dabei haben die kleineren Spannungsbögen gewöhnlich immer etwas mit dem Hauptbogen zu tun.

Ausnahmen können Nebenhandlungen sein wie die Liebesgeschichte in einem Thriller. Aber im besten Fall sind auch sie eng mit der Haupthandlung verknüpft. Bleiben wir beim Film „The Dark Knight Rises“: Die Frau, mit der Batman ein paar schöne Stunden vorm Kamin verbringt, ist die eigentliche Rädelsführerin.

Damit ein Buch spannend bleibt, braucht es genügend offene Fragen. Als Autor muss man also darauf achten, nicht zu viele Spannungsbögen abzuschließen, ohne neue Fragen aufgeworfen zu haben. Und sobald der Hauptspannungsbogen beendet ist, sollten nur noch nebensächliche Fragen beantwortet werden. Sonst wirkt der Schluss nicht „erlösend“ – aber das hat der Leser (oder Zuschauer) sich nach stundenlanger Anspannung verdient.

Die ideale Verteilung von Spannungsbögen sieht also in etwa so aus:

Ein paar Worte noch zur Entspannung, denn sie ist ebenso wichtig. Der Mensch ist sehr anpassungsfähig. Ein Presslufthammer vor der Haustür ist zu Beginn eine Qual für unsere Ohren. Lärmt er die ganze Zeit, so gewöhnen wir uns an ihn und nehmen ihn kaum noch wahr. Wenn er aber gelegentlich verstummt, werden wir ihn immer wieder als nervend empfinden. Ähnlich verhält es sich mit der Spannung. Damit der Leser von der Geschichte gefesselt bleibt, braucht er Momente der Ruhe. Gönnt eurem Helden und euren Lesern also ein paar schöne Stunden vorm Kamin und verknüpft das später wieder mit dem Hauptspannungsbogen.

Jurenka Jurk

Schreibfluss – Die Schreibschule am Bodensee

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Mit einer Ausbildung zum Romanautor

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