Aus dem Archiv – Rollenspielkolumne 8: Seht her, ich bin der coole Antiheld

Menschen ändern sich. Rollenspiele ändern sich. Nur die Ernährungsgewohnheiten des gemeinen Rollenspielers ändern sich nicht. Hat mit der nachfolgenden Kolumne auf dem Jahr 2001 nix zu tun, ist aber eine bemerkenswerte Weisheit.  

Szenen meiner frühen Jugend: Mit knirschenden Zähnen stehe ich, meines Zeichens Rondrageweihter, auf der morschen Brücke und erwarte den Ansturm der Orks. Hinter mir, nur geschützt durch meine ochsenartigen Muskeln und dazu passenden Hoden, das idyllische Dorf inklusive schmachtbegeisterter Noch-Jungfrauen. Da kommen sie, ach, reihenweise fallen sie, von meinem treuen Rondrakamm niedergemacht, während die Zahl der Pfeile in meiner Brust erst zwei-, dann dreistellig wird. Das waren noch Zeiten…

Und heute? Der strahlende Palladin kann eine Woche auf der Brücke stehen und warten, nichts passiert. Während er nämlich noch schnell Pipi machen war, um nicht mitten in der Schlacht zu müssen, haben sich seine Antihelden-Freunde bereits ins Lager der Orks geschlichen und deren Wasservorrat mit einer magisch bearbeiteten Geschlechtskrankheit vergiftet und unserem tapferen Helden bleibt nur, seine Rüstung zu polieren.

Woher kommt die Unsitte, sich keine rechten Helden mehr zu erschaffen? Die Hochelfen kriegen offensichtlich keinen mehr Hoch, wenn man mir diesen an den Ohren herbeigezogenen Scherz verzeihen mag. Wie sonst ist es zu erklären, dass es nur noch Schwarz- oder im besten Fall Grauelfen gibt? Und wieso muss jeder Kämpfer desillusioniert sein, jeder Spielmann versoffen, jede Heilerin in Wirklichkeit eine dunkle Vergangenheit als Hure eines minderjährigen Dämonenkönigs hinter sich haben? Kurzum, warum muss jeder Charakter heuer so mit Nachteilen beladen sein, dass er kaum noch gehen kann?

Ganz klar: White Wolf ist schuld! Die haben mit dem ganzen Kram doch erst angefangen! Geheiligt die Tage des DSA und AD&D erster Editionen. Strahlende Rüstungen, strahlende Jungfrauen, Strahlen des Blutes – das waren noch Zeiten! Mali bei Lebenspunktverlust? Sind wir Medizinstudenten, dass wir so kleinlich werden müssen? Schmerzen? Jetzt werdet mal nicht albern, wir sind Helden!

Und dann kommt Mark Rhein-Main daher und wirft uns im Inneren geplagte Vampire vor die Füße. Wenn ich im Inneren geplagt sein will, esse ich eine Chilli-Pepperoni-Pizza! Aber der große Mark Rein-Raus vernichtet im Vorbeigehen das sexuell konnotierte Dracula-Bild und beschert uns dicke Live-Rollenspieler in Birkenstöckern, mit rotem Gardinenstoffumhang und Karnevalplastikzähnen. Vielen Dank!

Oder diese Werwolfgeschichte… Was sollte das bitte? Wenn ich von Selbstzweifel und Verzweifelung zerfressene Kämpfer sehen will, schalte ich einen Boxkampf ein. Metzeln muss geistfrei bleiben! Da erschafft man sich eine absolute Killermaschine mit Krallen wie Dolly Buster und Brustmuskeln wie die Klitschkos zusammen und dann… muss man sich vom Spielleiter über die Apokalypse vollquatschen lassen. Nein Danke!

Von dieser anderen Schmocke ganz zu schweigen. Wer außer Claudia-Schiffer-Fetischisten will schon David Copperfield spielen, oder tote Leute oder gar Rotkäppchen?

Kurzum, ich fordere hiermit die Abschaffung aller coolen Antihelden. Ab sofort haben wieder die Krieger mit Klugheit 8, die Priesterinnen mit 120-30-90 und die ehrenvollen Diebe, die „Bitte“ und „Danke“ sagen, zu erscheinen, oder ich schicke Euch meine mit Plattfüssen und Ehrgefühl versehenen Ninja-Toaster auf den Hals!