Rezension: Schöne neue Welt

Aus der Reihe: Klassiker, die man angeblich gelesen oder gesehen haben muss (zu dem Thema und als Aufhänger für umfangreiche Flamewars: Citizen Cane, Der Pate, Apocalypse now und Cassablanca sind stinklangweilig, eignen sich nur als Zitatsteinbruch und sind völlig überschätzt, der Hofnarr hingegen ist echtes Gold) heute: Schöne neue Welt (Brave New World) von Aldous Huxley.

Vorweg Grüße an Svenja Wallbrecher, der das auf dem Flohmarkt erstandene Buch offenbar vorher gehörte – zumindest steht ihr Name vorne drin. Wenn du das hier liest, melde dich bei mir, dann schenke ich dir eines meiner Bücher 🙂

Schöne neue Welt reiht sich nahtlos in die Reihe der bekannten und im Schulunterricht totinterpretierten Dystopien wie 1984 oder Fahrenheit Dingensirgendkirchen (kann mir die Zahl nicht merken und bin zu faul, zu googlen) ein. Das Buch erschien 1932 und schildert eine Welt, in der Familien abgeschafft sind, Menschen in Reagenzgläsern und künstlichen Gebärmuttern herangezüchtet und schon dabei intellektuell und physiologisch auf eine bestimmte Schicht in der Gesellschaft hingezüchtet werden. Drogen und Dauerunterhaltungsprogramme machen sie gefügig und glücklich sein wird vorausgesetzt (hat da jemand „Bürger“ gesagt?).Bücher sind igitt, Bildung und kritische Gedanken ebenso, Konsum ist Weltreligion.

Das Buch, das der Übersetzer ebenso wagemutig wie erfolgreich aus England nach Deutschland verpflanzt, erzählt die Geschichte verschiedener Mitglieder dieser Gesellschaft, einige davon haben Schwierigkeiten, sich in dieses Idealbild einzufügen, andere werden praktisch gegen ihren Willen aus dieser „Idylle“ gerissen. Und dann gibt es da noch den Wilden aus einem unreglementierten Reservat, der als Attraktion eingeflogen wird.

Der Erzählstil des Buches ist an vielen Stellen überraschend modern und konkret, an anderen fühlt es sich doch eher wie ein Gleichnis an und die Sprache ist für das 2012er-Auge ein wenig schwergängig. Die geschilderte Gesellschaft mit verschiedenen sozialen Kasten, medialer Dauerberieselung mit dem Anspruchslosen und der dauernden Gier nach Sex kommt unangenehm nah an viel heran, mit dem wir uns heute herumschlagen müssen. Die Menschenzucht ist zum Glück noch nicht so weit gediehen, aber gerade im Licht moderner moralisch-ethischer Diskussionen über Frühtests während der Schwangerschaft steckt auch hier viel Gedankenpotenzial.

Das Ende des Buches ist recht defätistisch und abrupt und wirkt ein wenig, als wisse der Autor selbst nicht so recht, wie er aus der Nummer wieder rauskommt.

Kurzum: Wer das Buch in der Schule noch nicht gelesen hat und Dystopien generell verkraften kann, könnte zu diesem Klassiker greifen, ohne es zu bereuen. Ein Dan Brown ist sicher spannender, dafür aber in der Regel auch doppelt so dick und nicht halb so gedankenanregend 🙂 Ich habe es nicht bereut, das Ding gelesen zu haben, aber eine Fortsetzung hätte ich jetzt auch nicht gebraucht.